
Schön häßlich
Es hat ein zweites Mal geklappt ? Die Grenze auf der Kurischen Nehrung ist wenig bevölkert und wir haben es innerhalb einer Stunde geschafft (wir sind ja aber auch fast schon Formular-Profis und für die vielen Fächer und Stauräume unserer Emma interessiert sich hier irgendwie keine Sau…).
Mit der eingegebenen Stellplatz-Adresse (wohlgemerkt der einzige (!) im Internet auffindbare, offizielle Platz in der ganzen Oblast (!) Kaliningrad, frei Stehen in Russland natürlich verboten…) führte uns das Navi an eine Großbaustelle- und mir sank das Herz ein bißchen in die Hose ? Aber googeln hilft: andere Hausnummer eingeben und man kommt ans Ziel- das wunderhübsche Hotel Baltika, hinter dem man parken darf:
Wie so oft täuscht der erste Eindruck bzw. man sollte vor dem Urteilen alle Seiten betrachten, denn der Stellplatz hinter dem Hotel entpuppt sich als wirklich nettes Plätzchen auf einer Wiese direkt am Seeufer, völlig idyllisch und ruhig, mit Blick aufs Wasser aus dem Bett- was will man mehr in einer Großstadt…
Kaliningrad (bis 1945 als Königsberg in Ostpreussen bekannt) ist -wie wir finden- deutlich russischer als Sankt Petersburg – nicht zuletzt, weil fast alles ausschließlich in kyrillisch geschrieben steht… Und so wurde aus der Busfahrt in die Innenstadt gleich ein spannendes Unterfangen: wir wussten zwar, Bus 37 nach rechts nehmen, aber ein Streckenplan in kyrillisch hilft dann leider nur bedingt, um den richtigen Punkt zum Aussteigen zu finden ? Mit der Option, im Zweifel eine Busrundfahrt durch Kaliningrad zu machen (es gäbe Schlimmeres) und ab und an einem Blick mit dem Handy auf die Google-Karte kamen wir aber ohne Umwege genau da an, wo wir hinwollten: ins Zentrum von Kaliningrad.
Kaliningrad ist nicht nur russischer, was reichlich kyrillische und mehr als sparsam eingesetzte lateinische Buchstaben angeht, die ganze Stadt wirkt viel authentischer, als das wunderschöne, aber doch sehr „herausgeputzte“ und für Touristen aufbereitete Sankt Petersburg.
Es gibt eigentlich kein richtiges Stadtzentrum, es gibt eigentlich auch kaum noch Menschen mit familiären Wurzel in Kaliningrad bzw. Königsberg, da der Großteil der Einwohner aus der gesamten russischen Föderation verstreut nach Kaliningrad umgesiedelt wurde, nachdem die früheren Bewohner Königsbergs im 2. Weltkrieg gestorben, geflüchtet oder anschließend vertrieben wurden und es gibt eigentlich auch keine historischen Sehenswürdigkeiten, da diese, so sie nicht dem Krieg zum Opfer gefallen sind, danach von den Sowjets zerstört wurden. Schwierige Ausgangsbedingungen für eine Stadt und vielleicht sieht man ihr auch tatsächlich an, dass sich ihrer niemand so wirklich zugehörig fühlt. Darüber hinaus wurde Kaliningrad überhaupt erst seit 1991 (mit der Unabhängigkeit der baltischen Staaten) als russische Exklave auch für Touristen geöffnet- so gesehen sind 26 Jahre sicher nicht viel für Stadtentwicklung (sofern das nicht sowieso eher eine europäisch bis deutsche Erfindung ist) … Gepaart mit dem Charme sowjetischer Baukunst ergeben sich mitten in der Innenstadt unglaublich trostlose, triste und graue Ausblicke, die fast schon wieder unwirklich scheinen.
Besonders bemerkenswert im nächsten Bild: das Rätehaus, das auf den extra dafür zerstörten Ruinen des Königsberger Schlosses errichtet wurde- hübsch, oder?
Und trotzdem fanden wir Kaliningrad liebenswert. Weil es -so glauben wir zumindest- ein ehrlicheres Bild vermittelt, weil die Menschen auch hier unseren Vorurteilen widersprechen, weil es so gänzlich untouristisch ist und weil man die Dinge von allen Seiten betrachten muss- es gibt nämlich auch andere Ausblicke und Eindrücke von Kaliningrad:
Nach 10 Kilometern Fußmarsch durch die ganze Innenstadt, leckerem Essen, noch leckereren Drinks und einer unterhaltsamen Taxifahrt zurück zum Hotel Baltika ziehen wir ein positives Fazit: man sollte öfter Taxi fahren, das Visum hat sich gelohnt, der Besuch in Kaliningrad hat sich mehr als gelohnt und es wird bestimmt nicht unser letzter Ausflug nach Russland bleiben ?
Trotzdem müssen wir uns weiter auf den Weg Richtung Heimat machen und verlassen Kaliningrad auch schon wieder ? und auch diesmal weint der Himmel ein bißchen mit uns ?